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Sechste Betrachtung
Von der Unendlichkeit Gottes und seiner Größe

I.
Gott ist zuerst unendlich in der Vielheit seiner Vollkommenheiten. Er hat zwar nicht verschiedene von einander abweichende Vollkommenheiten, denn vermöge seiner Einfachheit machen sie nur ein einziges Wesen aus; aber nach unserer Auffassung sind sie in der Zahl unendlich. Die Theologen stellen wohl nur eine kleine Zahl von Eigenschaften Gottes auf; denn in der Dunkelheit dieses Lebens sehen wir kaum einen Funken dieses unendlichen Lichtes. Es gibt aber noch eine Millionen anderer, die die Engel und die Seligen schauen. Kann er nicht in der Tat die verschiedenen Geschöpfe bis ins Unendliche und immer mit einem neuen Grade von Vollkommenheit vervielfachen? Wenn er hundert tausend Arten Engel geschaffen hätte, wäre seine Macht nicht erschöpft, er könnte täglich die Zahl vergrößern. Dieses in Zweigel ziehen, hieße seine Macht ohnmächtig machen. Wollte man glauben, daß nach der Erschaffung von neuen Chören Engel Gott die Hände gebunden und seine Macht erschöpft wäre, so wäre dieses nicht würdig von ihm gedacht. Wir müssen uns eine vollkommene Idee von seiner Macht bilde. Aber mag diese Idee, die wir uns bilden würden, noch so vollkommen sein, sie würde der Wahrheit noch keineswegs gleichkommen; denn Gott wird in sich selbst immer größer sein als in den höchsten Gedanken unseres kleinen Verstandes. Nun muß Gott mindestens ebenso viele Vollkommenheiten besitzen, als er dem Geschöpfe mitteilen kann. Wenn also die Vollkommenheiten, die dem Geschöpfe möglich sind, unendlich viele sind, mit wie viel mehr Recht sind die wirklichen Vollkommenheiten Gottes unendlich in der Zahl. Ich will Gott von ganzem Herzen lobpreisen wegen so viele Wunder, die uns noch unbekannt sind. Wenn schon der Mensch, der nur einige Grade von Vollkommenheit besitzt, durchweg so erhaben unter den Geschöpfen dieser Welt ist, was muß man von der Schönheit Gottes sagen, die alle Schönheiten, die man sich nur denken kann, einschließt?

O mein höchstes Gut, man hat hienieden von deine Vollkommenheiten nicht den hunderttausendsten Teil genannt. Deine Propheten, deine Evangelisten, deine Gelehrten stammeln nur, wenn sie aussagen wollen, was du bist. O wie glücklich sind deine Engel und deine Auserwählten, die immer dein Angesicht schauen. Wann werde ich, o mein Gott, den Grund dieser Wesenheit schauten, die so viel Schönheit strahlt? Denn du, o mein Gott, bist das Ziel meines Verlangens, weil du ohne Grenze bist. Du bist die unsterbliche und auf immer beseligende Speise der himmlischen Geister, weil deine Vollkommenheiten sich in die Unendlichkeit erstrecken, die allein uns überglücklich machen kann.

II.
Die Vollkommenheiten Gottes sind noch unendlich in einer zweiten Art, an Intensität (an innerer Kraft); d.h. daß jede dieser unendlichen Vollkommenheiten, im Einzelnen betrachtet, eine besondere Unendlichkeit von Graden besitzt. Seine Weisheit also ist unendlich in sich, indem sie so viele Grade von Vollkommenheit hat, daß sie sich weder vergrößern, noch daß eine andere Weisheit sich ihr gleichstellen kann. So ist es mit seiner Macht, so mit seiner Glückseligkeit und allen seinen übrigen Eigenschaften. Denn da Gott weder von Jemanden abhängt, noch Etwas empfängt, wer hätte ihm sagen können, wie den Wogen des Meeres: Du darfst bis zu dieser Grenze kommen, du darfst sie nicht überschreiten? Die Grenzbestimmung kommt immer von einer höheren Ursache. Die Länderstriche der Bischöfe sind von dem Papste abgegrenzt und die Gerichtsbezirke der Richter eines Königreichs durch den Willen des Königs. So sind alle Geschöpfe durch den Willen Gottes in ihrer Vollkommenheit abgegrenzt, der ihnen das Maß zumißt, welches er wollte. Aber von wem hängt Gott ab, um die Grenzbestimmung seiner Vollkommenheit zu erhalten?Preiset den Herrn, so viel ihr nur vermöget.... Lobet den Herrn und erhebet ihn, so viel könnet, denn er ist erhaben über alles Lob (Sir 43,32-33).Die Zeit begrenzt ihn nicht, denn er ist ewig; der Ort engt ihn nicht ein, denn er ist unermeßlich; der Geist umfaßt ihn nicht, denn er ist unbegreiflich; das Wort beschreibt ihn nicht, denn er ist unaussprechlich; das Herz erschöpft ihn nicht, denn er ist unendlich liebenswürdig.

O tausend und tausendmal Unendlicher! O wer hat unendliche und unendlich liebende Herzen! O mein Gott, die Erfahrung lehrt uns, daß je ausgezeichneter die Dinge sind, sie um so mehr geliebt und geschätzt werden. So ist das Silber kostbarer als das Blei, das Gold kostbarer als das Silber und ein reicher Edelstein kostbarer als das Gold und die Sonne überragt alle diese Dinge. In dir, mein Gott, sind alle Vollkommenheiten unendlich, du bist wegen einer unter diesen allein unendlich liebenswürdig, wie vielmehr bist du es wegen aller insgesamt? Denn ich betrachte dich, o mein Gott, als einen Schatz, dessen Reichtümer unzählbar und über jede Schätzung erhaben sind. O welch kostbarer Schatz! Glückselig das Herz, dem du gestattest, dich zu genießen und das dich ohne Maß liebt! O Liebe ohne Ende, gib dich ganz uns und wir werden Alles in dir besitzen.

III.
Gott ist auch unendlich in seiner Herrlichkeit. Der Herr ist groß, preiswürdig überaus und seiner Herrlichkeit ist keine Grenze (Ps 144,3). Betrachte den Monarchen, der mit dem größten Glanz der Erde umgeben ist, in der ganzen Pracht seiner königlichen Stadt, in dem Glanz seines Palastes, der von Elfenbein, Marmor und Rubinen schimmert, umgeben von einer großen Zahl Prinzen und adeligen Herrn, die seine Befehle in alle seine weiten Provinzen tragen und von Allem Kunde bringen, was dort geschieht. Wenn wir diese Größe mit der Gottes vergleichen, so ist sie nur ein Schatten und ein eitler Dunst. Ja wenn sogar Gott seit der Erschaffung der Welt jeden Augenblick während der ganzen Ewigkeit neue Größen der des vollkommensten Engels hinzufügen würde, so könnte er immer nur gleichsam ein Pünktchen in der Linie machen.

O Gott, welche Ehrfurcht müßten wir nicht in deiner Gegenwart empfinden, wenn wir von dir reden, oder an dich denken? Ach Gott, ich könnte mich nicht verwundern, wenn du bei Ausführung deiner ewigen Absichten und bei Entrollung der Pläne deiner göttlichen Vorsehung, mich im Vorbeigehen vertilgen würdest. Denn ich bin ein armseliges Würmchen, das deiner Blicke nicht würdig ist. Ach wenn ich bis unter die Hölle hinabstiege, so wäre ich noch nicht tief genug erniedrigt, um deiner unvergleichlichen Größe zu huldigen. Unendliche Ehrbezeigungen, ein unendlicher Kultus wäre notwendig, o mein Gott, um deine unendliche Größe zu verehren, wie sie es verdient. Wehe den Seelen, die es wagen in deinem Tempel, vor deinem Angesichte ohne Ehrfurcht und ohne Liebe zu erscheinen. Ach, wie konnte ich je so viel Kühnheit oder diese Kraft nur haben, einer unendlichen Größe durch meine Sünden zu widerstehen? Ach höchster Gott, so soll es nicht mehr geschehen. Vermöge deiner unendlichen Größe und meiner unendlichen Niedrigkeit bin ich ganz dein Eigen.

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